Zöliakie und Gluten-Unverträglichkeit
Aktuell ist laut der deutschen Zöliakie Gesellschaft e.V. in Deutschland jeder hundertste Mensch an Zöliakie erkrankt. Doch die diagnostizierten Fälle sind nur die Spitze des Eisberges und man geht von einer hohen Dunkelziffer aus.
Was ist Zöliakie?
Zöliakie ist eine chronische Erkrankung, die sich durch eine Unverträglichkeit von Gluten zeigt. Dieses Klebeeiweiß ist in allen bei uns üblichen Getreidesorten wie Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste und Hafer (von Hafer gibt es auch glutenfreie Sorten) enthalten. Auf das Klebeeiweiß reagiert bei Zöliakie-Erkrankten das Immunsystem im Darm, was zur Zerstörung der Dünndarm-Zotten führt. Das hat eine verminderte Nährstoffaufnahme mit entsprechenden Mangel-Erscheinungen sowie ein vielfältiges Symptombild zur Folge. Betroffene leiden unter Blähung, Durchfall, Unwohlsein, Erbrechen, schlechte Konzentrationsfähigkeit und Appetitlosigkeit.
Zöliakie ist auch im fortgeschrittenen Alter ein Thema. Heute ist jeder zehnte neu diagnostizierte Patient über 65 Jahre alt. Bei ihnen verläuft das Leiden aber oft weniger typisch und wird daher nicht selten übersehen. Denn neben Darmproblemen, heftigen Blähungen, Koliken und Durchfall kann sich die Erkrankung auch durch einen Nährstoffmangel zeigen: Bei Blutarmut oder Eisenmangel unklarer Ursache sollte die Zöliakie-Diagnostik stets Teil der Abklärung sein. Auch eine ausgeprägte Osteoporose aufgrund eines Mangels an Vitamin D und Kalzium sowie erhöhte Leberwerte können auf Zöliakie hinweisen. Ein kaputter Zahnschmelz, chronische Kopfschmerzen oder depressive Verstimmungen können ebenfalls Anzeichen einer Zöliakie sein.
Die Darmsymptome dagegen können bei Erwachsenen oft recht mild ausfallen. Auch wenn sich die Zöliakie im Alter oft anders als in jungen Jahren zeigt, so müssen sich alle Patienten strikt glutenfrei ernähren. Übliches Brot, Pasta und Mehl sind tabu, weil Weizen, Dinkel, Emmer, Einkorn, Roggen und Gerste Gluten enthalten. Alternativen sind zum Beispiel Reis, Mais, Buchweizen, Linsen, Amarant oder Quinoa.
Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit – was ist der Unterschied?
Eine Unverträglichkeit bzw. Überempfindlichkeit auf Weizen kann aber auch andere Ursachen haben. Es muss nicht immer eine Zöliakie-Erkrankung dahinterstecken. Experten spekulieren schon lange über die Ursachen, warum immer mehr Menschen Getreideprodukte nicht vertragen. Denn die Zahl derjenigen, die nach dem Verzehr von Getreideprodukten über Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung klagen, steigt stetig.
Als mögliche Ursache wird zum einen die Hochzüchtung der modernen Getreidesorten diskutiert, die mit einem viel höheren Gehalt von Gluten und anderen Substanzen verbunden ist als bei vergleichbaren älteren Getreidesorten.
Als weitere Ursache identifizieren die Forscher aber auch das zunehmende öffentliche Interesse an einer glutenfreien Ernährung, was die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenkt.
Eine Überempfindlichkeit auf Gluten ist medizinisch nur schwer fassbar ist. Die Symptome ähneln sehr denen einer Zöliakie oder einer Weizenallergie. Anders als bei der Zöliakie, die oft im Kindesalter beginnt, finden die Ärzte bei Menschen mit „Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität“ (NZNWWS) bei einer Darmspiegelung jedoch keine Veränderungen der Dünndarmschleimhaut. Auch die Antikörper im Blut, die auf eine Weizenallergie hinweisen, fehlen.
Einzig die Beschwerden, die innerhalb von wenigen Stunden nach dem Verzehr von glutenhaltigen Lebensmitteln auftreten und die sich unter Einhalten einer glutenfreien Diät innerhalb weniger Tage wieder bessern, geben einen diagnostischen Hinweis. Liegt eine Zöliakie-Erkrankung vor, bessern sich die Beschwerden dagegen meist nur langsam – nämlich erst, wenn sich die Darmschleimhaut erholt hat, was mehrere Wochen dauern kann.
Dass tatsächlich das Klebereiweiß Gluten bei einer Überempfindlichkeit der alleinige Auslöser ist, wird von der Wissenschaft zunehmend bezweifelt. Weizenmehl enthält noch andere Bestandteile, die bei empfindlichen Menschen Beschwerden verursachen können. Zu den verdächtigen Substanzen zählen Amylase-Trypsin-Inhibitoren. Diese Proteine, mit denen Pflanzen Schädlinge abwehren, kommen vor allem in den modernen und hochgezüchteten Getreidesorten vor. Der menschliche Darm kann Amylase-Trypsin-Inhibitoren nicht abbauen. Bei einem Kontakt mit der Schleimhaut kommt es kurzfristig zur Aktivierung des Immunsystems. Eine Therapie hierfür gibt es noch nicht, aber hier kann zumindest eine glutenarme Ernährung Linderung bringen. Eine streng glutenfreie Diät ist meist nicht erforderlich.
Streng glutenfreie Diät bei Zöliakie
Dagegen müssen Zöliakie-Patienten auf die Einhaltung einer streng glutenfreien Diät achten. Selbst Spuren von Gluten können die Beschwerden erneut aufflammen lassen. Spuren von Gluten in Nahrungsmitteln sind gar nicht so selten, selbst als glutenfrei gekennzeichnete Lebensmittel weisen noch einen Gehalt von 20 ppm Gluten auf. Das kann man sich so vorstellen: Maximal 20 glutenhaltige Brotkrümel mit 999 979 glutenfreien Brotkrümel vermischt ergibt einen Gehalt von < 20 ppm Gluten – erst dann gilt ein Produkt als glutenfrei.
Es heißt also, nicht nur die Zutatenliste akribisch zu studieren – Weizen und Gluten sind deklarationspflichtig! Es bedeutet auch, äußerste Sauberkeit bei der Verarbeitung und Lagerung von glutenfreien und glutenhaltigen Produkten innerhalb eines Haushaltes zu gewährleisten. Also getrennte Lagerung der Produkte, krümelfreie Arbeitsflächen und Küchenutensilien, keine gemeinsame Benutzung beispielsweise des Toasters.
Wertvolle Tipps und aktuelle Informationen für das Leben mit Zöliakie gibt die Deutsche Zöliakie Gesellschaft unter www.dgvs.de.
Glutenfreie Ernährung im Pflegeheim?
Während sich viele Zöliakie-Erkrankte in ihrem Zuhause noch selbst um ihre Ernährung kümmern und Gluten meiden können, wird das mit dem Umzug ins Pflegeheim zum Problem. Hier muss sich das Personal der Pflegeeinrichtungen um die Ernährung der Senioren kümmern – und das ist mit den strikten Anforderungen an eine glutenfreie Ernährung oft überfordert. Nur wenige Senioreneinrichtungen in Deutschland bieten überhaupt eine glutenfreie Kost an – und es kann selten gewährleistet werden, dass die zubereiteten Speisen nicht mit Gluten in Kontakt kommen, zum Beispiel durch Brot auf dem Tisch oder durch Mehl, das in der Küche für andere Speisen verwendet wurde. Immerhin bieten spezielle Catering-Unternehmen an, die Senioreneinrichtungen mit glutenfreier Kost zu beliefern. Dies bedeutet aber einen zusätzlichen finanziellen und logistischen Aufwand, der erst einmal bewältigt werden muss. Es gibt also noch viel zu tun, um Zöliakie-Erkrankte krankheitsgerecht im Alter zu versorgen, wenn sie sich nicht mehr selbstständig versorgen können.
Neues Medikament in Sicht
Gegen Zöliakie könnte es jedoch bald ein wirksames Medikament geben. Ein Forscherteam der Universität Mainz hat einen neuartigen medikamentösen Wirkstoff zur Behandlung der Glutenunverträglichkeit entwickelt: den Transglutaminase-Hemmer ZED1227.
Im Rahmen einer klinischen Phase 2a-Studie haben die Mainzer Wissenschaftler gemeinsam mit internationalen Kollegen gezeigt, dass ZED1227 eine starke schützende Wirkung auf die Dünndarmschleimhaut hat und die Entzündung, Erkrankungssymptome sowie die Lebensqualität der Betroffenen verbessert. Zöliakie-Patienten könnte zukünftig eine unterstützende medikamentöse Behandlungsmöglichkeit parallel zur glutenfreien Diät zur Verfügung stehen. Das bedeutet für sie einen erheblichen Zugewinn an Sicherheit und Lebensqualität – wenn nicht mehr streng auf jedes Krümelchen Gluten geachtet werden muss.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie in unserem Ratgeber Nahrungsmittelunverträglichkeiten.