Heilprozesse bei Arthrose im Kniegelenk möglich
Ist Arthrose doch heilbar? Forscher der Universität Utrecht entdeckten Hinweise darauf, dass die Selbstheilungsprozesse beim Wiederaufbau von Knorpel machtvoller sind als bisher gedacht. Bislang gilt eine Arthrose als unheilbar und die Therapieangebote beschränken sich darauf, den Krankheitsverlauf so lange wie möglich hinauszuzögern.
Was ist Arthrose?
Bei Arthrose handelt es sich um eine häufige Gelenkerkrankung. Sie entsteht durch den langsamen Abbau von Gelenkknorpel, z. B. aufgrund von Entzündungsprozessen, aber auch als Folge von Unfällen. Eine Arthrose äußert sich meistens durch Schmerzen und Bewegungseinschränkungen und kann jedes Gelenk betreffen.
Bis zu acht Millionen Menschen in Deutschland leiden an Arthrose. Die betroffenen Gelenke schmerzen mal mehr und mal weniger stark. Arthrose in den Fingern erschwert das Greifen. Arthrose in Knie und Hüfte macht sich typischerweise zunächst durch Schmerzen beim Anlaufen bemerkbar – später aber auch unabhängig von Belastung. Mit der Zeit lassen sich betroffene Gelenke immer schlechter bewegen.
Arthrose ist eine Verschleißerkrankung: Normalerweise sitzt der Knorpel als schützende, elastische Schicht auf den beiden Knochenenden, die ein Gelenk bilden. Bei manchen Menschen nutzt sich der Gelenkknorpel jedoch ab, wird rau und zerfasert. Kleine Knorpelstückchen können sich ablösen – im Endstadium reibt Knochen auf Knochen.
Eine gesunde Knorpelschicht wirkt wie ein Stoßdämpfer: Sie wird bei Belastung gestaucht, um sich anschließend wieder auszudehnen. Dabei saugt sich die Knorpelschicht wie ein Schwamm mit Gelenkflüssigkeit voll. Diese Gelenkflüssigkeit nährt den Knorpel und hält ihn geschmeidig. Im Laufe der Jahrzehnte wird der Knorpel jedoch spröder. Verschiedene Faktoren können den Verschleiß beschleunigen. Darunter auch mangelnde Bewegung, denn nur bei Benutzung des Gelenks wird die nährende Gelenkflüssigkeit durch den Knorpel gepumpt.
Studie zur neuen Behandlungsmethode bei Kniearthrose
Das Forscherteam um Floris Lafeber am Universitair Medisch Centrum Utrecht in den Niederlanden ist eines von vielen Teams, das neue Behandlungsmethoden bei Arthrose erforscht. Sie untersuchten die Wirkung um die sogenannte Kniedistraktion – einer Behandlungsmethode von Kniearthrose im Endstadium bei relativ jungen Menschen. Die Forscher wollten herausfinden, ob durch eine Vergrößerung des Abstands der Knochen im Kniegelenk das Schmerzempfinden reduziert und die Beweglichkeit verbessert werden kann. Im Verlauf dieser Studie machten sie eine Entdeckung, die sich als wegweisend für eine erfolgreiche Behandlung und sogar einen neuen Therapieansatz für Arthrose erweisen könnte.
Schon in früheren klinischen Studien erzielten die Forscher ermutigende Ergebnisse mit einer Knochendistraktion bei Arthrose im Sprunggelenk. Darauf aufbauend schlussfolgerten sie, dass die Distraktion – also die Vergrößerung des Abstandes der Knochen im Gelenk – auch eine Behandlungsoptionen für Kniearthrose darstellen könnte.
In der neuen Studie konzentrierten sich die Forscher auf 20 relativ junge, körperlich aktive Patienten im Endstadium einer Kniearthrose, bei denen bereits sämtliche konservative Behandlungsmethoden ausgeschöpft waren. Um Schmerzen und Beweglichkeit weiter therapieren zu können, hätte eine Knieprothese eingesetzt werden müssen. Das Problem: Da eine Knieprothese nur eine begrenzte Lebensdauer hat, wäre es sehr wahrscheinlich, dass diese Patienten im weiteren Verlauf ihres Lebens diese Operation ein zweites Mal über sich ergehen lassen müsste. Daher suchte man nach einer Alternative.
Knochendistraktionen schon in anderen Therapien erfolgreich eingesetzt
Knochendistraktionen werden bereits seit Längerem in der Chirurgie durchgeführt. Sie haben sich vor allem bei der Heilung komplizierter Knochenbrüche bewährt, bei denen sich Knochenteile verschoben und ineinander verkeilt haben. Der Knochen wird hierfür an mehreren Stellen angebohrt. In die Bohrlöcher werden Metallstifte eingelassen, die so lang sind, dass sie an ihrem anderen Ende aus dem Körper herausragen. Das ist notwendig, um sie an einem Metallgestell außerhalb des betroffenen Körperteils in ihrer Position fixieren zu können. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass einzelne Knochenteile wieder in ihrer Ausgangslage dauerhaft positioniert werden und zusammenwachsen können.
Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studie mit Kniearthrose im Endstadium wurden mit der Distraktion die Knochen von Ober- und Unterschenkel so positioniert, dass der Abstand im Kniegelenk größer wurde. Ziel des Eingriffs war es, den Gelenkspalt auch nach Abnahme des Metallgestells für eine Zeit lang soweit vergrößert zu haben, dass der Einsatz einer Knieprothese erst zu einem späteren Zeitpunkt notwendig ist.
Die Behandlung ist nicht ohne Risiko. Zum einen darf es keine mechanischen Einwirkungen auf die Fixierungsapparatur geben, die auf die damit verbundenen Knochenbereiche übertragen werden könnten. Der Heilungsprozess kann schon durch einen unabsichtlichen Stoß oder ein Hängenbleiben an der Kleidung beeinträchtigt werden.
Zum anderen sind die Stellen, an denen die Metallstifte aus dem Körper heraustreten, offene Wunden, über die Keime in den Organismus gelangen können. Entzündungen, die bis in die Knochenstruktur gelangen, können die Folge sein. Da die Behandlung mit dem Fixierungsapparat in der Regel viele Wochen andauert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Komplikationen auftreten und eine Gabe von Antibiotika notwendig wird.
Ergebnisse der Studie
Bei allen Studienteilnehmern wurde die Behandlung erfolgreich durchgeführt. Unmittelbar nach Abnahme des Fixierungsapparates war die Beweglichkeit des Kniegelenks stark eingeschränkt – eine vorhersehbare Auswirkung bei der Ruhigstellung des Gelenkes. Die Bewegungssteifheit löste sich innerhalb der darauffolgenden Wochen vollständig. Bereits nach drei bis sechs Monaten waren die Erfolge der Behandlung zu sehen: Die Schmerzen ließen spürbar nach, die Beweglichkeit des Kniegelenks nahm deutlich zu. Diese Ergebnisse stabilisierten sich bis zur Kontroll-Untersuchung nach einem Jahr: Der Bewegungsradius nahm weiterhin zu und das Schmerzempfinden ab.
Spektakuläre Entdeckung bei der Nachuntersuchung
Die Forscher haben die Veränderungen, die die Kniedistraktion in dem betroffenen Gelenk erbracht hat, nach der Operation fortlaufend dokumentiert. Das erfolgte mittels MRT-Bildern und Röntgen-Bildern. Bei deren Auswertung zeigte sich: Das an Arthrose erkrankte Knorpelgewebe hatte sich offenbar teilweise erholt. Stellen, an denen die Knorpelschicht vor der Operation deutlich dünner war als in einem gesunden Kniegelenk, wiesen nun einen größeren Durchmesser auf.
Bereiche, an denen der Knochen bereits vollständig von Knorpelgewebe freigelegt war, waren wieder von einer Knorpelschicht überzogen. Diese Veränderungen waren in den von Arthrose betroffenen Bereichen festzustellen, während andere Bereiche unverändert blieben.
Über die Beschaffenheit dieses neu gebildeten Gewebes weiß man noch wenig zu sagen. In den bildgebenden Verfahren z. B. der Magnetresonanztomografie (MRT) weisen die neu gebildeten Gewebestrukturen dieselben Eigenschaften auf wie gesundes Knorpelgewebe und scheinen über dieselben funktionellen Eigenschaften zu verfügen. Das neu gebildete Gewebe ist keine vorübergehende Erscheinung, die Neubildung ist als nachhaltig anzusehen. Auch nach längerer Zeit mit normaler Beanspruchung und Belastung des Gelenks weist das neu gebildete Gewebe Eigenschaften auf, die denen eines gesunden Knorpelgewebes entsprechen.
Wie in einer daraus entstandenen Langzeitbeobachtung festgestellt wurde, ist das bei einigen Patientinnen und Patienten sogar neun Jahre nach der Distraktion noch der Fall.
Die Forscher heben hervor, dass diese eher zufällig gemachten Entdeckungen für die Erforschung und Behandlung von Arthrose neue Wege aufzeigen. Das Dogma, Selbstheilungsprozesse bei Arthrose seien nicht möglich, wird infrage gestellt. Neue Forschungs- und Behandlungsansätze könnten zu einer erfolgreichen Behandlung und sogar einer Heilung von Arthrose führen. Das sind gute Aussichten für alle Betroffenen.
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